"Du wirst ganz sicher Albträume haben" sagte die Mutter eines Multiplikators im voraus als Warnung an ihren Sohn, der zum ersten Mal ein ehemaliges Konzentrationslager an diesem Tag besucht. Die Mutter war selbst vor ein paar Jahren in der KZ Gedenkstätte Ravensbrück gewesen und litt danach an Albträumen.
Ich erwidere: "Das ist ihre Erfahrung! Wie geht es dir mit dem Besuch?"
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Corona macht uns mal wieder ein Strich durch die Rechnung und wir beschließen gemeinsam in August, dass wir die dreitägige Reise nach Weimar und den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald absagen und stattdessen ein ehemaliges Konzentrationslager aus der Region besuchen wollen.
Als Berliner*innen sehen wir zwei Optionen: die KZ Gedenkstätte Sachsenhausen und die KZ Gedenkstätte Ravensbrück. Eine der Multis berichtet beim Supervisionstreffen in August, sie wäre bereits in Ravensbrück gewesen und es hätte sie tief beeindruckt mehr über weibliche KZ Häftlinge zu erfahren. Das KZ Ravensbrück war schließlich das 1939 von der SS errichtete größte Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Gebiet. Das lässt uns alle aufhorchen und wir bemühen uns für September dort eine pädagogische Führung zu bekommen.
Die meisten der Multiplikator*innen waren zuvor jedoch noch nicht in einer KZ Gedenkstätte. Und auch wenn wir durch die vielen anderen Exkursionen in Gedenkstätten und Lernorte uns thematisch und emotional vorbereitet glauben - die Orte des Grauens haben eine eigene Wirkung.
Unser Guide Mathias Heyl ist Kreuzberger und liebt die Vielfalt. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er in der Gedenkstätte und ist der geborene Geschichtenerzähler. Lebendig macht er uns die einzelnen Orte des Verbrechens mit Anekdoten von Gesprächen mit Zeitzeuginnen, von Projekten und anderen Gruppen, die er über das Gelände in den vielen Jahren begleiten durfte. Wir sind mal auf dem Gelände und begleiten die zwei Schwestern Magrit und Charlotte dabei ein Stück Brot für die Mutter aus der einen Wohnbaracke für die Siemensarbeiterinnen in die 500 Meter weit entfernte Baracke für die "Arbeitsunfähigen" zu schmuggeln. Wir hören über die Geschichte der Denktafeln an der Außenmauer und warum die "Führerhäuser" ganz normale Wohnvillen der SS Familien waren, während in unmittelbarer Nähe Frauen entmenschlicht wurden - Frauen wie Selma aus den Niederlanden. Tief beeindruckt und voll von Eindrücken und Geschichten zum Reflektieren verabschieden wir uns von Mathias.
Nach der pädagogischen Führung nehmen wir uns auf dem Außengelände bei den ehemaligen Wohnhäusern der Wärterinnen etwas Zeit zur gemeinsamen Reflexion.
"Ich merke, ihr seid alle viel stiller als sonst."
"Ich glaube, ich muss erstmal für mich das alles verarbeiten"
"Ich bin einfach sehr müde."
"Wir sollten unsere Evaluationsrunde nicht zu lange machen. Wir müssen schließlich noch zur Regionalbahn laufen, falls das Taxi nicht kommt."
"Es war für mich das erste Mal in einem ehemaligen KZ, ich bin ziemlich mit genommen, das so zu erleben, den Ort, wo Menschen so viel Leid erfahren haben. Und dabei ...ist Ravensbrück nicht Ausschwitz. Das kann man sich nicht vorstellen."
"Der Guide war so gut, er hat die Berichte der Zeitzeugen und ihre Erzählungen so passend eingebaut. Und die Geschichten der Aufarbeitung und die Projekte zur Erinnerungskultur in der Gedenkstätte haben einen guten Bezug zu uns hergestellt."
Auf der Rückfahrt von Brandenburg nach Berlin ging der Austausch weiter. Tief beeindruckt und erschöpft kamen wir Sonntagabend zurück. Die Gespräche und die Reflexionen gehen weiter in den Tandems und in unserer gemeinsamen Whats App Gruppe. Bis wir uns wieder sehen können zur Abschlussveranstaltung und Zertifikatsübergabe - dieses mal wieder digital.
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von Natalia Amina Loinaz (Projektleitung Manara)